Was bedeutet es, frei zu sein? Yoga kann der Schlüssel sein, unsere persönlichen Freiheiten wiederzuentdecken. Mit der Zeit hilft uns das Training, unsere Freiheiten im Alltag auszubauen. Wir sind weniger verbissen, wenn wir realisieren, dass wir nicht alles kontrollieren können. Sobald wir diesen Weg beschreiten, ändert sich unsere Herangehensweise, Herausforderungen zu meistern und mit Situationen umzugehen, da alte Muster, die wir nicht mehr länger benötigen, von uns abfallen. Yoga feiert die Freiheit, die wir mit Geist, Körper, Herz und Seele erfahren. Unser Horizont weitet sich, wenn wir erkennen, dass wir alle Teil von etwas Größerem sind – dem Kosmos im Ganzen.
Hier findest du vier Möglichkeiten, in denen Yoga uns unsere Eigenständigkeit bewahrt und an die Kraft unseres Potentials erinnert.
Yoga als Rebellion
Ein Yogi zu sein bedeutet, an einer friedvollen Rebellion teilzunehmen. Yoga und Achtsamkeit haben mittlerweile den Weg aus dem Verborgenen in den Mainstream geschafft. Was es heißt, ein moderner Yogi zu sein – um einen alternativen und achtsamen Lebensstil in der heutigen Welt zu pflegen – hat nur bedingt etwas mit Designer-Yoga-Kleidung zu tun, Mala-Ketten und Friedensmeditation, oder damit den Job zu kündigen, um Yoga-Lehrer*in zu werden. Diejenigen, die sich auf diesen Pfad begeben, tun es, weil sie umgehend ihre Lebensweise und Wahrnehmung in Frage gestellt haben. Es gibt kein Zurück.
Je tiefer wir in das Training eintauchen, desto mehr hinterfragen wir, was wir über uns und den Sinn des Lebens zu wissen glauben. Ein Yogi zu sein heißt, gegen den Status Quo, unser Aussehen oder Lebensstil betreffend, anzukämpfen. Wir rebellieren gegen die Norm – gegen das, was unsere Familien von uns und unseren Karriereplänen erwartet hatten. Yoga gibt uns die Möglichkeit, unserem Lebensweg treu zu bleiben; auf uns selbst zu hören, wenn wir unsere Träume wahrmachen. Yogis sind nicht bloß Teilnehmer einer Rebellion. Sie führen sie an.
Yoga als Befreiung
Durch Yoga entwickeln wir mit der Zeit eine distanzierte Wahrnehmung und können unser eigenes Denken unter die Lupe nehmen. Wir beginnen zu verstehen und zu akzeptieren, dass unsere Gedanken – wenn wir sie in die Tat umsetzen – unsere Wirklichkeit gestalten. Und dennoch passiert es schnell, dass wir in alte Gewohnheitsmuster verfallen, mit Sorge in die Zukunft blicken oder über unsere Vergangenheit grübeln, was wiederum zu Depressionen führen kann.
Kontinuierlich die Kunst auszuüben, nur dem gegenwärtigen Moment Aufmerksamkeit zu schenken, befreit uns jedoch von den Grenzen unseres Verstandes. Wir befreien uns von der Scham, an der wir ein Leben lang mit Verstand und Körper festgehalten haben. Wir nabeln uns psychisch von unseren einschränkenden Ansichten über uns selbst ab, die uns davon abhalten, unsere Träume zu erfüllen. Denn wir haben durch Verstand, Körper und Geist erkannt, dass wir wahre Wunder vollbringen können. Yoga ist ein Befreiungsschlag von den Fesseln negativen Denkens. Durch diese Art von Befreiung lastet unsere Vergangenheit nicht so schwer auf uns, eine Last fällt von uns ab – wir werden selbstbewusst und fühlen uns wohl in unserer Haut. Wir akzeptieren und lieben uns so wie wir sind.
Yoga als Unabhängigkeit
Wir leben in einer Welt voller Widersprüche: Wir sind komplett vernetzt und gleichzeitig entfremdet. Viele von uns verbringen so viel wertvolle Zeit damit, auf Bildschirme zu starren, um sich diesem „globalen Dorf“ zugehörig zu fühlen. Dabei verlieren wir die wichtigste aller Beziehungen komplett aus den Augen: jene zu uns selbst. Wir vergessen, auf uns zu hören. Yoga ermöglicht jedoch den direkten Zugang zu uns selbst: die Verknüpfung von Geist und Körper, die wiederum beide gemeinsam mit dem Göttlichen verschmelzen. Unser innerstes „Selbst“ ist unser*e beste*r Freund*in. Die meisten von uns haben jedoch einen Hang dazu, diese*n nicht sonderlich gut behandeln. Wir fühlen uns leer und einsam, und wir fallen auf Bewältigungsmechanismen wie die Co-Abhängigkeit zurück oder schlimmer noch – Drogenmissbrauch.
Indem wir durch Yoga zu unserem „Selbst“ zurückfinden, erkennen wir immer wieder aufs Neue, dass wir uns selbst genügen. Wir werden so selbstsicher in unserer Einsamkeit, dass unsere Unabhängigkeit geradezu aufregend erscheint, anstatt unbehaglich oder beängstigend. Wir genießen unsere Zeit mit uns selbst und nutzen sie, kreativ zu sein, zu reflektieren und um für uns selbst zu sorgen. Diese Offenbarung lässt uns bewusst werden, dass die Beziehung zu uns selbst die einzige ist, die wir wirklich haben können – und dass dadurch wiederum unsere Beziehungen zu anderen erst wirklich aufblühen. Wir fühlen uns stärker mit anderen verbunden, weil wir uns selbst ganz und gar lieben. Von unseren Co-Abhängigkeiten abzulassen, führt zu einem glücklichen und unabhängigen Lebensstil.
Yoga als Freiheit
Unsere Freiheit ist ein Geschenk. Und für alle, die mit vollständiger Autonomie gesegnet sind, ist es oft ein Geschenk, das wir als selbstverständlich ansehen. Wir vergessen, dass es das Schicksal nur aus Glück oder Zufall gut mit uns meint, und wir ignorieren die Vielfalt an Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Wir beschäftigen uns zwanghaft mit den Dingen, die wir nicht besitzen oder nicht erreicht haben und ohne die wir kein glückliches oder erfülltes Leben führen können. Sehnsuchtsvoll vergleichen wir uns mit dem Status, Erfolg und Ruhm anderer, anstatt zu genießen, was wir innerhalb unserer Möglichkeiten erreicht haben.
Schlimmer noch: Wir glauben fälschlicherweise daran, dass jeder mit den gleichen Chancen auf die Welt gekommen ist – dass alle die Möglichkeit haben, ihre Träume zu erfüllen. Wir liegen falsch, wenn wir an diesen einschränkenden Glaubenssätzen festhalten. Syrische Geflüchtete oder die sogenannten „Lost Boys“ aus Südsudan wurden nicht in sicherer Freiheit geboren. Andauernder Bürgerkrieg und Konfliktzonen bieten keine Möglichkeiten – nur Zerstörung und Verzweiflung. Die reine Wahrheit über die Knappheit des Überflusses ist eine wichtige Mahnung an uns alle, dankbar zu sein, für das das was wir wirklichhaben. Indem wir dankbar sind – für unsere Freiheiten, unsere Talente und Fähigkeiten, für ein Dach über dem Kopf, für sauberes Wasser und gesundes Essen, um unsere Körper zu nähren –, werden wir an unser Glück erinnert, das wir nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Der Moment, in dem wir aus den Augen verlieren, wofür wir dankbar sein sollten, erachten wir unsere unzähligen Freiheiten als selbstverständlich.
Als spirituelles Training weitet Yoga unseren Horizont und sprengt jegliche selbstauferlegten Grenzen oder kulturell geprägten und einschränkenden Glaubenssysteme, mit denen wir die Welt wahrnehmen. Wir wachsen über uns hinaus – wir fangen an, über unseren Tellerrand hinauszublicken und alles zu hinterfragen. An diesem Punkt beginnen wir, uns mit einer höheren Macht oder göttlichen Quelle verbunden zu fühlen, der allumfassenden Vernetzung, auf der das Universum als Ganzes baut. Aber letztendlich sind es die Beziehungen zu allen Lebewesen, die im Leben am wichtigsten sind. Wenn wir uns verbunden fühlen, tritt unser Ego in den Hintergrund und Bescheidenheit an seine Stelle, um das gesamte Spektrum des Menschseins zu durchlaufen.
Sich in Dankbarkeit zu üben, lässt uns zu besseren Menschen werden. Wir stärken unsere Freiheiten und holen in der kurzen Zeit, die wir auf diesem Planeten sind, das Beste aus unseren Erfahrungen heraus. Wir werden groß, anstatt klein; wir zeigen Einsatz und geben der Welt etwas zurück. Indem wir als Anführer dieser friedvollen Rebellion das Kommando übernehmen, befreien wir als Yogis uns von allem Negativen. Unsere Unabhängigkeit regt neue Vernetzungen an; unsere Freiheit ist eine Lebensweise im Dienste aller, die es weniger gut haben als wir.
Yogi zu sein heißt, das Licht in der Dunkelheit zu sein.
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Andrea Rice ist Autorin und Yoga-Lehrerin. The New York Times, Yoga Journal, SONIMA, NY Yoga+Life, mindbodygreen und andere Online-Publikationen veröffentlichten bereits ihre Texte. Folge ihr auf auf Instagram, Twitter und ihrer Webseite.